So mancher ist ja schon aus dem Fenster gefallen. Und schlimm ist so ein Unglück allemal. Aber was sich nach dem Prager Fenstersturz im Jahre 1618 in Europa ereignete, hatte wohl niemand auf dem Plan. Man kann sich das eigentlich auch gar nicht vorstellen.
Anfang des 16. Jh. spaltete die Reformation das Europäische Christentum in ein protestantisches und in ein katholisches Lager. In Böhmen, der protestantischen Seite zugehörig, gärte es. Der katholische Habsburger Kaiser Ferdinand II. setzte die abtrünnigen Böhmischen Fürsten so unter Druck, dass diese sich erbost auf der Prager Burg Hradschin trafen und nach einem heftigen Wortgefecht mit zwei königlichen Stadthaltern und deren Sekretär diese kurzerhand zum Fenster hinauswarfen. Dass die Staatsdiener den Sturz aus 17 Metern Höhe überlebten, schreiben die einen der Mutter Maria und die anderen einem zufälligen Misthaufen zu. Der Kaiser nahm den Fehdehandschuh jedenfalls auf und zog gegen die rebellierenden Böhmer zu Felde. Beide Seiten fanden in ganz Europa Sympathisanten, die sich den Parteien anschlossen. Und so entstand ein verheerender Krieg, der 30 Jahre andauern sollte, halb Europa verwüstete und in seinen Grenzen maßgeblich veränderte.
Unser Besuch in Prag dauerte zwei Tage, in denen wir auf unseren Spaziergängen bei jedem Schritt und Tritt die fast 800-jährige Geschichte dieser wunderbaren Stadt spürten. Auf dem Altstadtplatz konnten wir uns kaum sattsehen. Die gepflegten, eleganten Gebäude mit ihren bunt leuchtenden Fassaden wechseln einander ab im Stil der Renaissance, des Rokoko, der Gotik, der Romanik und dem Barock. Nie sahen meine Frau und ich vergleichbares. Wir bestaunten die älteste, noch funktionierende, astronomische Uhr der Welt im Rathausturm. Zur vollen Stunde, nach dem Ertönen des Sterbeglöckchens, wandern an einem kleinen Fenster die 12 Apostel vorbei. Nach 45 Sekunden beendet ein Hahnenschrei das kurze Schauspiel, welches meist von einer Vielzahl von Menschen beobachten wird. Die hochgotische Teynkirche mit ihren markanten Zwillingstürmen auf der anderen Seite des Platzes war nun wirklich nicht zu übersehen. So prächtig sie von außen aussieht, so schön ist sie in ihrem barocken Stil von innen.
Das jüdische Viertel darf man auf keinen Fall verpassen. In diesem Stadtteil, auch Josefstadt genannt, stehen sechs Synagogen, von der wir die sehr beeindruckende barocke Klausen-Synagoge besuchten. Unmittelbar daneben befindet sich der wohl bekannteste jüdische Friedhof Europas. Auf ca. einem Hektar wurden hier mehr als 100.000 Menschen beigesetzt. Das war nur möglich, weil man sie in bis zu 12 Lagen übereinander beerdigte. Auch Rabbi Löw, der den Golem aus Lehm geschaffen haben soll, ist hier bestattet worden. Wir bestaunten mehr als 12.000 dichtgedrängte, verwitterte Grabsteine aus einer 600-jährigen Friedhofsgeschichte.
Flussaufwärts, entlang der gepflegten Uferpromenade der Moldau, vorbei an bildschönen gotischen Gebäuden, vielen kleinen Cafés und einigen Restaurantschiffen, erreichten wir die Karlsbrücke. Mit ihren 520 Metern Länge und 30 Figuren ist dieses gotische Meisterwerk eine Touristenattraktion. Auch der heilige Nepomuk gehört zu den Statuen. Wurde er doch vor ca. 600 Jahren von dieser Brücke in den Tod gestürzt. Vorbei an Künstlern, Händlern, Musikern und Touristen passierten wir dieses historische Bauwerk und gelangten auf die Prager Kleinseite.
Dort war unser erstes Ziel die kleine Kirche Maria vom Siege, in der das Prager Jesulein seinen Platz gefunden hat. Eine kleine Statue, die von Millionen Menschen auf der ganzen Welt verehrt und angebetet wird. Unseren Aufstieg zum Hradschin, der Burgstadt, unterbrachen wir aber noch einmal für ein imposantes Kirchengebäude. Die mächtige St.-Niklas-Kirche ist ein mehr als 300 Jahre altes Gotteshaus und zählt zu den schönsten Barockbauwerken Europas. Auch wir waren fasziniert von der künstlerischen und prunkvollen Ausgestaltung des Kirchenschiffes.
Ja, und dann erreichten wir, den Burghügel hinauf etwas außer Atem, die 1.000 Jahre alte Prager Burg. Man sagt, es sei der größte antike Burgenkomplex der Welt. Wir glaubten das sofort. Denn alles war groß: Die Burghäuser, der gotische Veitsdom, der Ehrenhof, die Parks. Und überall bildschöner Barock und verschwenderische Renaissance. Von diesen Bildern mehr als beeindruckt schlenderten wir noch durch das goldene Gässchen, in dem einst Franz Kafka gelebt hat, ehe wir durch den Park hinunter Richtung Altstadt wanderten. Und plötzlich hatten wir bei bestem Wetter großes Glück. Wir erhaschten einen freien Blick durch die Bäume der Parkanlage auf die goldene Stadt mit ihren 100 Türmen und einer Vielzahl von Brücken. Wer dieses Panorama schon einmal genießen durfte, wird es uns bestätigen: Prag ist eine der schönsten Städte der Welt!
Natürlich statteten wir noch der Deutschen Botschaft, die in unserer jüngeren Geschichte schon eine gewisse Berühmtheit erlangt hat, einen Besuch ab. Beim Anblick des gar nicht so großen Balkons schlugen unsere Gedanken Purzelbaum.
Am Abend des zweiten Tages beendeten wir unsere Städtetour in Prag mit einem deftigen Böhmischen Gericht und einem der besten Biere der Welt.
Erstmals erschienen im „Schleidener Wochenspiegel“ unter der Rubrik „Schon mal dort gewesen?“.