Ascona/Tessin

Anarchisten, Aussteiger, Naturisten und Utopisten, aber auch Schriftsteller und Künstler jeden Genres machten, einem Zeitgeist folgend, den Monte Veritá vor 100 Jahren zu ihrer neuen Heimat. Der „Berg der Wahrheit“, der Hausberg Asconas, wurde jahrzehntelang Treffpunkt dieser, nennen wir sie einfach „Erleuchteten“, die, gäbe es sie dort heute noch, glücklich wären, den Borgo, den nun wirklich alten Ortskern von Ascona, weitestgehend unverändert vorzufinden. Auch der prächtige Blick auf den Lago Maggiore ist, trotz starker Bebauung des Hügels, ebenfalls erhalten geblieben.

Vielleicht hat dieser damalig „Run“ auf das verträumte Fischerdorf ein kleines Bisschen mit dazu beigetragen, dass daraus heute ein mondäner Urlaubsort geworden ist. Inzwischen, mehr als 800 Jahre alt, versprüht dieses Städtchen jedenfalls einen zauberhaften Charme. Die meist autofreien, kurvigen Shoppingmeilen und die verwinkelten, schmalen Gassen geben fortwährend den Blick frei auf Boutiquen, Geschäfte, Terrassencafés und Restaurants. Für uns haben diese Szenen immer wieder eine besondere Wohlfühlatmosphäre. Gelangt man durch die malerische Altstadt bereits von einem Höhepunkt zum nächsten, so sind wir doch stets völlig überwältigt vom Highlight des Ortes: Der schönsten Seepromenade des Tessins mit ihren Cafés, Bars, Restaurants, Verkaufsständen und, natürlich, einer Vielzahl von Gästen. Fotoenthusiasten sollten lediglich 200 m die angrenzende Via Moscia entlang gehen um einen der attraktivsten Blicke von Ascona zu erhaschen. Fast herausfordernd schaut der Campanile der Pfarrkirche Santi Pietro e Paolo hinter den Palmen und der ersten Häuserzeile der Piazza Guiseppe Motta hervor. Und tatsächlich gehört ein Besuch der Basilika aus dem 16. Jh. schon alleine wegen des riesigen Altarbildes zum Pflichtprogramm.

Natürlich gibt es in Ascona Möglichkeiten genug, den Urlaub zu genießen. Beinahe selbstverständlich ist etwa ein Eis auf der Faust, ein Aperol Spritz unter dem Sonnenschirm, ein vollmundiger Cappuccino im Straßencafé oder eine Pizza auf der Restaurantterrasse – alles mit Blick auf die vorbeischlendernden Touristen und den hinreißenden Lago Maggiore. Aber auch die örtlichen Museen und Galerien stehen (nicht nur bei Regen) hoch im Kurs.

Einfach klasse sind die kleinen oder größeren Touren mit den Ausflugsschiffen. Zu den vielen sehenswerten Orten am See gehören z. B. Cannóbio, Cannero Riviera, Stresa oder Verbania. Nur eine knappe halbe Stunde entfernt locken bereits die Brissago-Inseln. Für uns ein unabdingbares Ausflugsziel. Einmal auf der Isola Grande angekommen, weiß man nicht, wohin man zuerst schauen soll. Die Insel beherbergt den Botanischen Garten des Kantons Tessin mit rd. 1.500 meist subtropischen Pflanzen. Unübersehbar ist der prachtvolle Palast im Stil der Renaissance, der dieser Insel einen unverwechselbaren Zauber gibt. Nur wenige Bootsminuten brauchen wir dann bis zum Festland nach Porto Ronco. Und von dort aus gibt es hinauf zum wunderschönen Dorf Ronco zwei Möglichkeiten: Mit dem Bus oder 800 (!) schweißtreibende Treppenstufen. Bisher klappte es immer noch zu Fuß. Und belohnt wurden wir stets von (Achtung, Fotostopp!) einem Ausblick auf die Brissago-Inseln im Lago Maggiore, den man für immer in Erinnerung behält. Von diesem „Balkon“ aus führt uns dann ein wunderschöner Höhenweg mit einem ständig wechselnden Panorama zurück nach Ascona.

Auch in Locarno ist man mit dem Schiff in einer knappen Stunde. Eine geschichtsträchtige Stadt, in der 1925 sieben völkerrechtliche Vereinbarungen entworfen wurden, die später in London ratifiziert worden sind. Während des jährlichen Film-Festivals füllen sich die Straßen, die schmalen Gassen und – natürlich – die Piazza Grande mit filmbegeisterten Besuchern, die sich an den altehrwürdigen Herrenhäusern, dem antiken Castello Visconteo und auch den historischen Kirchen kaum sattsehen können. Schon vom Schiff aus erkennt man hoch über der Stadt die gelb gestrichene Klosteranlage mit der barocken Wallfahrtskirche Madonna del Sasso. Erreichen kann man diesen Gebäudekomplex über den anspruchsvollen Kreuzweg, der dafür aber an wunderschönen Kapellen vorbeiführt, oder, dann doch recht bequem, mit einer Standseilbahn. Die Basilika auf dem Heiligen Berg wurde zu Ehren der Jungfrau Maria errichtet, die der Legende nach dort im Jahre 1480 erschienen ist. Übrigens ist der Ausblick von der Kirche hinunter auf die Stadt, den See und die umliegenden Alpen außergewöhnlich reizvoll und sollte unbedingt im Bild festgehalten werden.

Natürlich gäbe es noch viel zu berichten über diesen hinreißenden Teil des Tessins mit seinen Seen, Grottos oder schneebedeckten Bergspitzen. Und glauben Sie mir, so oft wir in diesen Teil der Schweiz fahren, so oft entdecken wir wieder neue wunderbare, verträumte Dörfchen, palmenbewachsene Seeufer und genießen einen Hauch italienischer Leichtigkeit.

Foto und Text: Michael Usadel

Erstmals erschienen im „Schleidener Wochenspiegel“ unter der Rubrik „Schon mal dort gewesen?“.

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