
Ende des 18. Jh. war Napoleon Bonaparte im widerborstigen Europa noch überwiegend auf der Siegerstraße – auch im Siegerland. Brandschatzungen und Plünderungen waren die Regel. Das Land darbte. Und so verbreitete sich rund um Freudenberg schnell die (frohe) Kunde, dass sich ein französischer Treck mit Kriegskasse und Beutegut auf dem Rückzug befand und die 16 Fuhrwerke nur mangelhaft bewacht würden. Nach einem ersten Scharmützel mit einer Räuberbande kann sich der Treck ins nahe Freudenberg retten. Doch nur einen Tag später wird das Städtchen von bewaffneten Bauern aus dem Umland überfallen und der Treck innerhalb weniger Stunden komplett ausgeraubt. Da sich auch Freudenberger an dieser Aktion beteiligten, mutmaßten dunkle Gestalten größere Schätze vor Ort und suchten mehr oder weniger erfolgreich deren Häuser heim. Schließlich erschienen dann auch noch die Franzosen um Vergeltung zu üben, konnten aber von der Unschuld der Bewohner überzeugt werden. Ob nun der eine oder andere Freudenberger mit seinem Teil am Raub der Kriegskasse zu Reichtum gekommen war, sieht man jedenfalls heute den Häusern im „Alten Flecken“ nicht an. Alle sehen gleich aus und darüber hinaus völlig brav und unbescholten …
In sämtlichen Medien ist Freudenberg zu Hause. Im In- und im Ausland. Sogar bis Fernost reicht der Bekanntheitsgrad. Flyer in japanischer Sprache sind mittlerweile obligatorisch. Und so zog es auch uns ins Siegerländer Städtchen. Nach knapp 1 ½ Stunden parkten wir unser Auto vor der Tourist-Info. Dort erhielten wir den Flyer „Altstadt-Rundgang“, der uns eine hervorragende Orientierung bot. Klar, dass wir zuerst gleich hinter der Info die rd. 120 Stufen zum Kurpark hinaufstiegen. Ein „Muss“, aber auch ein bisschen mühsam. Und dort, wie bereits unzählige Touristen vor uns, schauten meine Frau und ich vom spektakulären, eigens markierten „Fotoblick“ aus, auf ein einmaliges Panorama: Vor uns lag „Der Alte Flecken“, die Altstadt von Freudenberg. Ein toller Foto-Spot, der mein Fotografenherz höherschlagen ließ. Etwa 80 schiefergedeckte, schwarz-weiße Fachwerkhäuser aus dem 17. Jh. in Fünferreihe, deren Giebel uns sämtlich zugewandt waren. Aus dem Fernsehen kannten wir das Bild – aber in natura war es noch viel beeindruckender. Und dann zogen wir los, den historischen Stadtkern zu entdecken. Immerhin schon zweimal abgebrannt, erstrahlt jedes Gebäude in seiner eigenen „Persönlichkeit“. Vorgärten, Blumenkästen, Bänke und Lauben schmücken die liebevoll gepflegten Häuser. Unserem Flyer folgend, bummelten wir durch sämtliche Straßen und Gassen des „Alten Fleckens“ und bestaunten einen der eindrucksvollsten Stadtkerne Westfalens. Das älteste Haus des Ortes, dann das alte Rathaus, das 4Fachwerkmuseum, die Scheunengruppe oder die evang. Kirche – schöner geht nicht. Man sagt, dass das evang. Pfarrhaus das älteste und prächtigste Fachwerkhaus des Siegerlandes sei. Übrigens hatten wir diese historischen Kleinode fast für uns alleine, was daran lag, dass wir diesen Tripp an einem Mittwoch im Oktober gemacht haben. Obwohl viele Besucher von Freudenberg im Winter schwärmen, ist der Ort im Sommer eine Touristenhochburg und beschert der Stadt viele Übernachtungen und Tagesgäste. Die Freudenberger haben es aber auch schon vordem zu bescheidenem Wohlstand gebracht. Ertragreich war nicht nur der Raub der Kriegskasse, sondern u. a. auch ihre Eisenindustrie, ihre Leimsiedereien und das exzellente Uhrmacherhandwerk.
Klar, dass so ein Rundgang Appetit macht. Und so kehrten wir ein in einer kleinen, urigen Gaststube, die mich an meine Jugendzeit erinnerte: nette Wirtsleute, rustikales Mobiliar, eine zweckmäßige Theke und eine funktionstüchtige Musikbox. Wir fühlten uns wohl und bestellten Speckpfannkuchen und Rührei mit Bratkartoffeln. Lecker!
Erstmals erschienen im „Schleidener Wochenspiegel“ unter der Rubrik „Schon mal dort gewesen?“.