
Seit 1794 hielten Französische Revolutionstruppen das Rheinland besetzt. Hatte man sich mittlerweile auf die Besatzer mehr schlecht als recht eingerichtet, so erschrak der erzkatholische Rheinländer dann doch sehr, als er 1804 ein Dekret Kaiser Napoleons zur Kenntnisnehmen musste, wonach Bestattungen in Städten, Dörfern und auch Gebäuden aus hygienischen Gründen grundsätzlich verboten wurden. Man war erschüttert. Zeugte es doch in damaliger Zeit von tiefem Glauben, aber auch von hohem sozialem Ansehen, nahe der Kirche, oder gar in (!) derselben, bestattet zu werden. Gesucht wurde nun allenthalben nach einem geeigneten Platz für einen neuen Friedhof. Die Kölner wurden vor den Toren ihrer Stadt fündig. Durchaus geeignet war das Gelände des öffentlichen Richtplatzes, auf welchem, besonders während der Hexenverfolgung und noch bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, bedauernswerte Menschen auf grausame Art und Weise ihr Leben lassen mussten. Übrigens befand sich auf diesem Areal bereits seit dem 12. Jahrhundert ein Leprosenasyl. Die leprakranken Bewohner nannte man im Volksmund auch gerne – dem Französischen entliehen – die „Maladen“. Und so gilt bis heute: „Enne kranke Kölsche es malad“. Planerisch dem Pariser Friedhof „Pere Lachaise“ nachempfunden, konnte die neue Grabstätte dann im Jahre 1810 mit allen Würden geweiht werden.
Als meine Frau und ich den Melaten-Friedhof durch den Eingang „Piusstraße“ betraten, erfasste uns eine kaum zu beschreibende Atmosphäre. Wir begegneten Menschen auf Parkbänken, die leise erzählten oder die Zeitung lasen, anderen, die ihre Familiengräber besuchten, einem Trauerzug, Joggern, einer Gruppe, die an einer Friedhofführung teilnahm, Spaziergängern und Gärtnern. Eine Frau fütterte ein Eichhörnchen und in den Bäumen hingen Äpfel als Futter für die in Köln heimisch gewordenen, grünen Halsbandsittiche. Ein Ort der Ruhe und Besinnung inmitten einer pulsierenden Großstadt. Die Kölner haben ein besonderes, liebevolles Verhältnis zu „ihrem Melaten“. Hier ist Geschichte und Gegenwart allgegenwärtig. Auch verliert der Tod hier seinen Schrecken und bekommt eine gewisse rheinische Leichtigkeit. „Wir kommen alle in den Himmel“, sang schon Jupp Schmitz vor 70 Jahren mit einem lustigen Augenzwinkern.
Auf dem Gottesacker der Stadt Köln sind rd. 55.000 Gräber auf einer Fläche von 435.000 m² angelegt. Lange, gerade Wege, meist rechtwinklig sich kreuzend, erleichtern das erste Kennenlernen dieser wunderschönen Parkanlage mit ihrem uralten Baumbestand. Immer blieben wir stehen vor imposanten Grabstätten und Gruften mit oft überlebensgroßen Skulpturen und Symbolen. Viele gestaltet im Stile des Neubarock und der Neugotik. Und dann erreichten wir die „Millionenallee“. Waren schon die Grabmäler bis dahin bemerkenswert, so erschlugen uns fast die prunkvollen und monumentalen Gräber vermögender oder bekannter Kölner Bürger. Aufbewahrt bis zum Schluss unseres Rundganges hatten wir uns das Wahrzeichen des Melaten-Friedhofs: den Sensenmann. Eine mannsgroße Steinplastik eines Skeletts, zum Teil eingehüllt in Mantelstücke. In der rechten Hand hält Gevatter Tod eine Sanduhr, die uns bedeuten soll, dass das Leben endlich ist. In der linken Hand hält er meist eine Sense – wenn sie nicht gerade wieder mal von Grabräubern entwendet wurde. Nachdenklich und tief beeindruckt verließen wir den Park und machten uns auf den Heimweg. Wir hatten einen Blick werfen dürfen in 200 Jahre Kölner Stadtgeschichte. Mark Aurel hat vielleicht einen Vorsatz für das kommende Jahr: „Nicht den Tod sollte man fürchten, sondern, dass man nie beginnen wird, zu leben“.
Prosit Neujahr!
Erstmals erschienen im „Schleidener Wochenspiegel“ unter der Rubrik „Schon mal dort gewesen?“.