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Reisevorbereitungen
Im Herbst 2021 bei bestem Spätsommerwetter, rückläufigen Zahlen in der Pandemie, großen Impferfolgen mit noch größeren Erwartungen an ein fast coronafreies neues Jahr – also voller Zuversicht – planten wir für das zeitige Frühjahr endlich einmal wieder eine Urlaubsreise. Nach den langen, nicht immer einfachen Einschränkungen eine höchst willkommene Abwechslung. Eine Reederei bot auch gerade in einem eindrucksvollen und verlockenden Prospekt eine attraktive Reise für den fraglichen Zeitraum an mit dem Titel: „Vulkangestein und Kanarischer Charme.“ Und überhaupt: Schon zweimal waren wir mit dieser Reederei auf wunderschönen Reisen unterwegs gewesen. Unsere Erwartungen waren entsprechend hoch.
Die Kanarischen Inseln kannten wir bisher nur vom Hörensagen. Viele unserer Freunde und Verwandten verleben dort regelmäßig ihre Urlaube. Also eine prima Gelegenheit, sich selbst einmal ein Bild zu machen. Und das obendrein vom Meer aus. Hier sei einmal Albert Ballin, dem Erfinder der Kreuzfahrt, von Herzen gedankt.
Seit langem haben wir einen alten Bekannten (noch älter als ich), der, quasi so nebenher, sein ehemaliges Kölner Reisebüro als One-Man-Show auslaufen lässt. Ein kurzes Telefonat genügte, um uns in nur wenigen Tagen in den Besitz der Reisebestätigung zu bringen. Alles wie von Geisterhand: Die gewünschte Kabine, Flüge von und nach Köln, Transfers von und zu den Flughäfen mit Stadtbesichtigungen, Wunschliste der Landausflüge … Gut, dass man solche Menschen kennt. Glücklich, zufrieden und voller Vorfreude sehnten wir den Frühling herbei.
Die Reisevorbereitungen im Februar 2022 verliefen dann aber mehr als einsilbig. Fortwährende Warnungen des Gesundheitsministers, aufkeimende Impfmüdigkeit sowie protestierende Impfgegner bestimmten die Medien. Die soundsovielte Coronawelle schwappte gerade über Deutschland hinweg, als ein böser Krieg in der Ukraine die Menschen fassungslos machte. Wer denkt in solchen schrecklichen Zeiten noch an Urlaub? Schließlich überwog dann aber doch der Wunsch nach einer kurzen Auszeit. Außerdem gibt es bei uns eine langjährige Übung, während des Urlaubs weder eine Zeitung zu lesen noch irgendwelche Nachrichten zu sehen oder zu hören. Die Welt wird dadurch nicht besser, wir aber ein bisschen ruhiger.
Drei Wochen vor Abreise erreichte uns ein Brief der Reederei, in welchem wir auf verschiedene, zum Teil verschärfte, Einreisebedingungen für das Land Spanien hingewiesen wurden. „Ein PCR-Test inclusive ausführlichem Fragebogen sei 72 Stunden vor Abflug obligatorisch. Auch den Online Check-In sollten wir tunlichst innerhalb von 24 Stunden vor Abflug durchführen.“ Meine mehr als dürftigen EDV-Kenntnisse wurden schon mal auf die erste, harte Probe gestellt. Diesen Test habe ich dann aber überraschenderweise locker bestanden und meiner Frau stolz die entsprechenden Ergebnisse präsentiert. Immer ist mir ihr freundlicher Blick Lob und Ansporn zugleich. Im Brief der Reederei hieß es dann aber weiter: „Spanien verlange innerhalb von 48 Stunden vor Einreise eine Registrierung im „Spain Travel Health-Portal“. Dort müsse ein umfangreiches Formular zur Gesundheitskontrolle ausgefüllt werden. Dann erhalte man per Mail einen QR-Code, ohne den man beim Check-In am Flughafen rigoros abgewiesen würde.“ Nach etwa zwei Stunden verzweifelten Bemühens am Computer habe ich weitere Versuche eingestellt und mein Ein-Mann-Reisebüro in Köln angerufen. Auch dort gab man nach weiteren zwei Stunden entnervt auf. So blieb denn nur noch die Reederei. Und die hatte zu dieser Zeit dann auch schon Feierabend. Nach einer sehr unruhigen Nacht startete ich am nächsten Morgen mit den schlimmsten Befürchtungen einen neuen Anlauf. Immerhin sollte unsere Reise ja in etwa 20 Stunden beginnen. Und tatsächlich: Der Computer-Gott erbarmte sich meiner und nach einer weiteren zähen Stunde konnte ich meiner Frau die QR-Codes vorlegen, völlig entnervt, nicht stolz aber erleichtert.
Mein Eheweib stand indessen grübelnd im Schlafzimmer und hatte das Doppelbett zu einem bunten Textillager umfunktioniert. Sie ordnete lauter kleine Stoffstapel in die drei allseits bekannten Kategorien: Was muss mit? Was kann mit? Was könnte noch mit? Irgendwie beschlich mich das Gefühl, dass dem dritten Stapel besonders viel Aufmerksamkeit zu Teil wurde. Doch die früheren, oftmals recht lebhaft geführten Diskussionen über Sinn und Zweck verschiedener, noch schnell zusätzlich eingepackter Textilien gehören seit der Anschaffung einer, nur wenige Euro teuren, Kofferwaage gottlob der Vergangenheit an. Nur ein Problem blieb noch: Meine Schuhe! Beim Durchprobieren der noch im Winterschlaf befindlichen Sommerschuhe wollte kein Paar so richtig passen: Zu alt, unbequem, nicht schön … Damit war meine ohnehin nicht so große Auswahl schnell erschöpft. Am Ende blieb ein einziges Paar, das meine uneingeschränkte Zustimmung fand. Quasi ein Allrounder. Meine Frau schüttelte ungläubig den Kopf und kapitulierte vor so viel modischem Unverstand.
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Der Hinflug
Man sagt gerne, dass Ehepaare gleichgerichtete Interessen haben. Was nun die Fliegerei anbetrifft, stimmt das bei meiner Frau und mir schon mal überhaupt nicht. Während meine Frau mit Vergnügen in die Luft geht, hält sich das bei mir in engen Grenzen.
Geplanter Abflug ab Flughafen Köln-Bonn war für 7.00 Uhr vorgesehen. Wollten wir 2 ½ Stunden vorher vor Ort sein und vielleicht noch 2 ½ Stunde Karenzzeit (Anfahrt, Parkplatz, Cappuccino, etc.) einplanen, mussten wir unseren Wecker auf 1.30 Uhr stellen. Eine nun wirklich unchristliche Zeit. Die Koffer waren verstaut und das Navi eingestellt. Nach einem hastigen und dürftigen Frühstück waren wir bald auf der Autobahn und wunderten uns, wer alles um diese Zeit schon unterwegs war. Um Köln herum in stockfinsterer Nacht waren die ruhigen Anweisungen unserer Navi-Dame unentbehrlich. Ein Hightech-System! Bis wir unvermittelt am Rande eines Ortes vor einem riesigen, verschlossenen Eisengittertor standen, hinter dem sich im Licht unserer Scheinwerfer Wiesen und Ödland ausdehnten und in der Ferne die Lichter des Flughafens leuchteten. Das Navi bemerkte freundlich: „Sie haben ihr Ziel erreicht. Das Ziel liegt in einer beschränkt befahrbaren Zone.“ Nun helfen in solch einer „verfahrenen“ Situation unschöne Worte nicht richtig weiter. Und doch machten sie im Auto die Runde. Nervös, jetzt aber ohne Navi, fuhren wir zurück zur Autobahn, dort den Airport-Schildern nach und erreichten gerade noch rechtzeitig den Flughafen. Zügig passierten wir die Sicherheitskontrolle und ließen uns erschöpft in die Sitze eines Bistros fallen. Mit einem Cappuccino in der Hand griff meine Frau dann zum Handy um den Flugmodus einzugeben. Ein letzter Blick auf die Corona-App ließ sie unmittelbar ebenso rot anlaufen wie die dortige unheildrohende Meldung: „Begegnung an 1 Tag mit erhöhtem Risiko!“ Bestürzt stellte ich auf meinem Handy denselben finsteren Hinweis fest. Völlig verstohlen, kaum wahrnehmbar, fühlte ich mir über die Stirn. War sie nicht schon wärmer als sonst? War sie nicht. Und andere Symptome hatten wir auch keine. Unser ramponiertes Nervenkostüm beruhigte sich nur langsam.
War mir der dann folgende Flug mit etwa 4 ½ Stunden auch viel zu lang, so war er, dem Himmel sei Dank, ruhig und ohne besondere Vorkommnisse. Ganz im Gegensatz zum weiteren Verlauf der Reise.
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Das Schiff
Nach der Ankunft auf Teneriffa starteten wir zu einer Panoramafahrt über einen Teil der Insel, genossen einen kleinen Mittagssnack und erreichten mit schon recht schönen Eindrücken beladen am Nachmittag die Pier. Der Weg zur Gangway führte durch eine Zollhalle. Hier wurde auch gleich der obligatorische Corona-Schnelltest durchgeführt. Wir beobachteten einigermaßen skeptisch ein ständiges Kommen und Gehen und einen bislang störungsfreien, unauffälligen Verlauf. Bis jählings eine freundliche Dame vor uns stand und uns bat, doch bitte dort drüben zu den Kollegen zu gehen. „Rote Corona-Warn-App, Isolierung, Unterbringung im Kanarischen Quarantänehotel, Krankenhaus, außerplanmäßiger Rückflug.“ Das waren nur einige Gedanken, die mir in Bruchteilen von Sekunden durch den Kopf gingen. Zweifelnd blickte ich die Dame an, die dann, nach einer künstlerischen Pause, weiter erläuterte, dass einer dieser Kollegen uns unser Gepäck aushändigen und zum Schiff begleiten würde. Mit trockenem Mund und Herzklopfen bis zum Hals begaben wir uns zum Schiff. Eine hilfsbereit lächelnde Dame hieß uns herzlich willkommen und geleitete uns zu unserer Kabine. Kaum war sie gegangen, fielen wir uns, stumm wie die Fische, tief und erleichtert durchatmend, in die Arme. Eine abenteuerliche Odyssee lag hinter uns. Die Reederei begrüßte uns mit einer Flasche Champagner im Eiskübel. Wir ließen uns nicht lange bitten.
So richtig groß ist das Schiff nicht. Jedenfalls lange nicht so groß, wie andere Schiffe, denen wir auf der Reise begegneten. Das war uns aber nicht neu und durchaus angenehm. Wir freuten uns riesig auf das Wiedersehen. Die elegante Dame ist ca. 225 Meter lang und hat nur zehn Decks. Aber dafür kann sie auch in kleineren Häfen festmachen, oder schon mal in einer idyllischen Bucht vor Anker gehen. Maximal 500 Passagiere werden von einer immerhin 370 Personen umfassenden Crew verwöhnt. Pandemiebedingt waren aber nur 230 Gäste an Bord, was dazu führte, dass auch nicht der kleinste Wunsch unerfüllt blieb. Lifestyle in einer modernen und entspannt, legeren Atmosphäre, sieben Restaurants, ein Pool-Deck, ein Spa-Bereich und vieles mehr ließen eine unvergessliche Reise erwarten.
Unsere Herzen schlugen höher beim ersten Abendessen auf der Club-Terrasse mit Blick auf Hafen und Meer. Die Auswahl am Buffet bot einen kulinarischen Höhepunkt nach dem anderen sowie Kreationen aus aller Welt auf höchstem Niveau. Nach diesem erlesenen Genuss schauten wir uns glücklich an, prosteten einander zu und wussten, dass sich der ganze Aufwand letztlich doch gelohnt hatte. Das Frühstück am nächsten Morgen schloss sich in seiner Vielfalt dem Abendessen nahtlos an. Nicht anders war es beim Mittagstisch und dem Treff am Nachmittag bei Kaffeehausmusik an der Poolbar mit Kuchen und Waffeln. Leckere Snacks zwischendurch (für den kleinen Hunger) will man eigentlich nicht mehr groß erwähnen. Wer figürlich ein achtsamer Mensch ist, hat auf diesem Schiff schlechte Karten. Dahingehende gute Vorsätze gingen bei mir jedenfalls samt und sonders „über Bord“. Selbst der Kapitän, ein gemütlicher Mitfünfziger, vorne wohlig ausgestattet mit einem sympathischen Feinkostgewölbe, warnte in seiner amüsanten Begrüßungsansprache, dass das Essen auf dem Schiff gefährlicher sei als ein Feuer. Das deliziöse Angebot war aber auch die Versuchung pur. Maßhalten hatte da schon fast widernatürliche Züge. Zumal der stets zuvorkommende und allgegenwärtige Service augenzwinkernd dabei half, die letzten aufkeimenden Skrupel einfach zu ignorieren. Die Folge war, dass sich bei mir alsbald der oberste Hosenknopf quer stellte und die Kapazität des Gürtels zur Neige ging. Aber auch Oscar Wilde wusste schon: Gute Vorsätze sind Schecks, ausgestellt auf eine Bank, bei der man kein Konto hat.
Das Bordprogramm war außergewöhnlich. Entweder im Theater, am Pool, im Foyer oder in der stimmungsvollen Lounge fanden hochkarätige Veranstaltungen statt. Wir genossen u. a. im Theater einen humorvollen und vergnüglichen Kabarettabend. Bernd Stelter, den Künstler, haben wir dann mit seiner Frau an der Poolbar bei einem Cappuccino kennengelernt. Eine vergnügliche Runde.
Unser Reiseveranstalter ließ es aber auch sonst an nichts fehlen. So waren auf unserer elftägigen Reise Landausflüge in den verschiedensten Kategorien geplant. Dadurch konnten wir uns einen ersten Eindruck von allen sieben Kanarischen Inseln verschaffen. Naja, leider nur von sechs. Aber davon später mehr. Wir lernten, dass hier eigentlich immer Sommer ist und dass Sonnenanbeter ganzjährig auf ihre Kosten kommen. Der vulkanische Ursprung der Inseln gehört zur Charakteristik und ist allgegenwärtig. An manchen Stellen ist der Boden so heiß, dass auf einem Grill die Schnitzel brutzeln, Wasser explosionsartig verdampft und sich Reisigbündel in einem Erdloch entzünden. Hier wird weltbekannter Ziegenkäse hergestellt, dort werden Bananen angebaut und da die Wüstenlilie Aloe Vera. Wir fuhren mit Bussen zu beeindruckenden Felsküsten und wunderschönen, zum Teil oasengleichen Dörfern und erfuhren dabei von geschulten Fremdenführern auf kurzweiligen Ausflügen viel Interessantes. Dumm war nur, dass ich nach dem dritten oder vierten Landausflug die Besonderheiten der einzelnen Eilande überhaupt nicht mehr auseinanderhalten konnte und zum Ende der Reise völlig überfrachtet von Gehörtem und Gesehenem das Handtuch warf.
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Der Unfall
Kommen wir nun zu einem Ereignis, das die ganze Reise von jetzt auf gleich in Frage stellte. Wir lagen im Hafen von la Gomera und beeilten uns, zum Frühstück zu kommen. Für den Vormittag war nämlich ein Ausflug geplant. Dafür hatten wir uns den Wecker auf 6.30 Uhr gestellt! Fantastische, zauberhafte wie mystische Landschaften würden uns erwarten. Außerdem brach von der kleinen Inselhauptstadt San Sebastian seinerzeit Christopher Columbus auf, um dann letztendlich „nur“ Amerika zu entdecken. Wir freuten uns also auf eine interessante Tour.
An diesem Morgen blies bei herrlich blauem Himmel ein kräftiger Wind. Die Verandatüre hatten wir aufgeschoben und ließen eine angenehm frische Brise ins Zimmer. Schon etwas unter Zeitdruck, das Frühstück wartete bereits, öffnete ich die Kabinentüre, um meiner Frau den Vortritt zu lassen. Kaum hatte sie die Schwelle überschritten und ich versucht, hinter sie zu treten, erfasste eine heftige Sturmböe die Türe und schlug sie mit aller Gewalt zu. Mein Versuch, sie festzuhalten, scheiterte kläglich. Bei der Türe handelte es sich um eine ca. 4 cm dicke feuerhemmende Stahltüre, die in einem millimetergenauen Rahmen abschloss. Ein Streichholz passte nicht dazwischen. Mein kleiner linker Finger auch nicht. Ungläubig starrte ich auf meine Hand. Das Blut schoss mit aller Kraft aus dem Rest des Fingers. Meine Frau und ich riefen völlig fassungslos um Hilfe. Die Mädchen des Roomservice vom ganzen Flur liefen zusammen, erfassten die Situation sofort, legten meine Hand in ein Badetuch und riefen die Bordärztin. Die war nun wirklich in allerkürzester Zeit zur Stelle und fand mich kreidebleich auf dem Toilettendeckel sitzend, die Hand kühlend in einer Eisschüssel. Nach einer provisorischen Erstversorgung setzte sie mich in einen Rollstuhl und fuhr mich zum Bordhospital. Vorher nahm sie aber noch schnell ein Tempotaschentuch zur Hand und entfernte den abgetrennten Rest meines kleinen Fingers, der aussah wie die dünne Scheibe einer groben Minisalami, aus dem Türrahmen. Meine Wünsche und Fragen ignorierte sie geflissentlich und erklärte mir stattdessen, dass sie als Unfallchirurgin durchaus wisse was zu tun sei. Und so war es auch. Nachdem sie meinen Finger geröntgt und ihn örtlich betäubt hatte, legte sie mir eine Infusion an und suchte anschließend in einem Besteckkasten nach einem Seitenschneider (!). Mit dem modellierte sie den zersplitterten Knochen, zog die verbliebene Haut darüber und vernähte das Ganze. Sie war tatsächlich ein Profi. Anschließend passte sie geschickt an Hand und Arm eine Schiene an und verband das Ganze mit blütenweißen Binden. In ihrer völlig besudelten Uniform begleitete sich mich, äußerst zufrieden mit ihrem Werk, zur Türe, wo mich meine arme Frau, nervlich gänzlich zerfleddert, in Empfang nahm. In unserer Kabine haben wir dann die Situation und die weitere Vorgehensweise überdacht und uns entschlossen, zuerst einmal das noch ausstehende Frühstück nachzuholen. Und das beendeten wir, uns aufmunternd zuprostend, mit einem Gläschen Prosecco. Dabei nahmen wir uns vor, das Beste aus der Situation zu machen und die Reise frohen Mutes und zuversichtlich fortzusetzen. Wir sahen es wie Wilhelm Busch: „Und geht´s auch drüber und drunter, wir bleiben unverzagt und munter …“
Natürlich war ich von da an die Sensation an Bord. „Und die Hand immer schön hochhalten!“ hatte die Ärztin noch gemahnt. Das fiel natürlich auf. Fast jeder Mitreisende wollte die Leidensgeschichte hören. Mitleidfaktor 10 war mir allenthalben sicher. Ob ich Schmerzen hätte. Nein, nicht viel. Na sowas. Ob ich ohnmächtig geworden wäre. Nein. Unglaublich! Man bewunderte meinen heldenmütigen Umgang mit der für mich doch sicher fürchterlichen Situation und wünschte mir ständig gute Besserung. Ja, das tat richtig gut! Der Service trug mir auch den kleinsten Teller vom Buffet zum Tisch, überall hielt man mir die Türe auf, die Offiziere grüßten noch freundlicher und selbst der Kapitän kam an unseren Tisch und erkundigte sich nach meinem werten Wohlbefinden. Ein Ober meinte grinsend, ein anderer Gast reise bereits seit 11 Monaten ohne Unterbrechung mit dem Schiff. Der sei bei weitem nicht so bekannt wie ich, der ich erst 5 Tage an Bord sei.
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Der Rückflug
Der planmäßige Rückflug verlief zuerst einmal unproblematisch. Auf Gran Canaria wurden wir mit dem Bus zum Flughafen gebracht, hatten bald den Sicherheitsbereich passiert und schwebten mit vielen Eindrücken beladen der Heimat entgegen. Bald begrüßte uns der Flugkapitän und verhieß uns einen ruhigen Flug. Und wie so oft: Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben. Etwa eine Stunde vor Köln verdunkelte sich der Himmel schlagartig. Es begann zu regnen und ein Sturm mit heftigen Böen setzte ein. Mein Nichtfliegerherz rutschte mir schlagartig in die Hose und die Unterhaltung mit meiner Frau beschränkte sich bei mir nur noch auf solche Silben wie „ja – nein – ach – hm.“ Das Bordpersonal nahm Platz und schnallte sich an. Bildete ich mir das ein, oder guckten die ziemlich ernst? Die Lichter gingen aus und wir rumpelten schaukelnd Richtung Flughafen Köln-Bonn. Als die Maschine dann ein wenig schlingernd aufsetzte, hätte ich mich beinahe als uncool geoutet und geklatscht. Erst später, am Kofferband, wich dann meine Anspannung einer großen Erleichterung. Ich fasste neuen Lebensmut.
Den brauchte ich auch, denn wir fanden unser Auto nicht mehr wieder. In dunkler Nacht, in Sturm und Regen, irrten wir über die Parkdecks und suchten intensiv, freilich ohne greifbaren Erfolg, nach unserem Fahrzeug. Die rettende Idee war der Wagenschlüssel. Die Signallichter zeigten uns nach wenigen Sekunden den rechten Weg. Durchnässt, völlig durchgefroren und schmallippig traten wir bald darauf den Heimweg an. Kurz nach Mitternacht sind wir dann nach einem erlösenden „Willkommen-zu-Hause-Trunk“ todmüde und erschöpft in die Betten gesunken.
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Der Nachtrag
Der erste Tag wieder zu Hause.
Unser schmuckes Häuschen hat ein Flachdach – und das ist eine Achillesferse. Ein zufälliger Blick am Morgen an die Wohnzimmerdecke bestätigte das eindrucksvoll. Feuchtigkeit war während des Urlaubs durch die Dachhaut gedrungen und hatte einen wüsten Fleck an der Decke verursacht. Dachdecker und Anstreicher sind beauftragt. Wir tragen es mit Fassung.
Außerdem gab es während unserer Abwesenheit Schnee und Frost bei Minus 8 °. Das war dem Wasserhahn im Garten dann doch zu viel. Bis ein Nachbar den Schaden bemerkt hatte, lief das Wasser einen Tag und eine Nacht … Ein Installateur ist ebenfalls beauftragt.
Auf dem Schiff hatte man mich medizinisch verwöhnt. Die Bordärztin mochte mich (ich sie auch) und behandelte mich bevorzugt und sehr umsichtig. Unser Abschied war herzlich. Wir haben uns feste umarmt und die Adressen ausgetauscht. Nun war ein neuer Verband fällig und der Anruf in meiner Hausarztpraxis ernüchternd. Ein Termin sei erst Anfang der kommenden Woche möglich. Als ich dann etwas beunruhigt mein Handycap geschildert hatte, ging es dann aber sehr zügig. Meine Hausärztin nahm einfühlsam Anteil an meinem Unglück und versorgte meinen „Klinkes“ professionell und engmaschig. Und das sogar an ihrem freien Tag. So etwas schweißt zusammen.
Wer im Ausland einen Arzt in Anspruch nehmen muss, sollte im Besitz einer entsprechenden Krankenversicherung sein. Umsichtig bietet die Reederei eine solche für ihre Gäste an. Da ich diesen Service in Anspruch genommen hatte, nahm ich die Honorarnote des Bordhospitals, die man meinem Bordkonto belastet hatte, gelassen zur Kenntnis. Wieder daheim war ich mir nun sicher: Ein kurzer Anruf bei dem Versicherer würde mir umgehend zur Erstattung meiner Krankheitskosten verhelfen. Nun hat die Telefonanlage der Gesellschaft eine professionelle Warteschleife. Durch das Drücken verschiedener Zahlen konnte ich mein Begehren schon einmal eingrenzen. Man stimmte mich auf eine längere Wartezeit ein, die ich bei nerviger Bandmusik mit dem mehrmaligen Aufräumen meiner Schreibtischplatte verbrachte. Nach 32 Minuten habe ich dann aufgegeben und aufgelegt. Das war ein Fehler! Denn der nächste Versuch dauerte noch länger. Zwischenzeitlich lagen auf meinem Schreibtisch die auf einem solchen Tisch üblichen Gegenstände penibel im Millimeterabstand und exakt parallel zueinander ausgerichtet. Mehr ging nicht. Meine Nerven glichen Zündschnüren. Und dann war nach geschlagenen 38 Minuten eine freundliche Dame am Telefon, die mich vorab nach meiner Versicherungsnummer fragte. Da ich eine solche Nummer nicht hatte, ging ich davon aus, mit der Vorgangsnummer meines Reiseveranstalters zurecht zu kommen. Kam ich aber nicht. Ohne Versicherungsnummer keine Schadensbearbeitung. Fertig. Ob aus dem jetzigen Stand der Dinge noch ein gutes Ende wird, weiß ich noch nicht. Drücken sie mir die Daumen.
Gemünd, im April 2022
Erstmals erschienen im „Schleidener Wochenspiegel“ unter der Rubrik „Schon mal dort gewesen?“.