
In dieser finsteren Nacht ist der Wind eiskalt und schneidend. Eiligen Schrittes sucht das junge Paar seinen Weg durch das Venn. Für die Hochzeit fehlen noch Papiere. Die wollen sie besorgen. Der gefrorene Schnee knirscht unter ihren Sohlen. Die Markierungen im Moor sind zugeschneit. Bald kriecht die Kälte in ihnen hoch. Es ist aussichtslos, sie schaffen es nicht. Später wird man ihre Leichname finden. Ein trauriges Ende anno 1871. Am Ort dieses schlimmen Ereignisses steht noch heute ein Kreuz. Das Kreuz der Verlobten.
Entstanden ist das Hohe Venn, immerhin Europas größtes Hochmoor(!), nach der Eiszeit. Dichte, wasserundurchlässige Böden begünstigten die Entwicklung der Moore durch Torfmoose und abgestorbene Pflanzen. So entstanden innerhalb der letzten 10.000 Jahre bis zu neun Meter hohe feuchtweiche, zähe Torfschichten. Die übrigens auch jetzt noch jährlich um einen Millimeter wachsen. Ein einzigartiger Lebensraum für Pflanzen und Tiere. Und weil es im Hohen Venn an mehr als 200 Tagen im Jahr regnet, ist das Ganze ein riesiger, vollgesogener Schwamm. Überschüssiges Wasser sammelt sich in Bächen und lässt Flüsse und kleine Wasserläufe entstehen, wie z. B. die Rur oder die Our. Dieses magische, bei Nebel ein wenig gespenstige Naturschutzgebiet umfasst eine Fläche von ca. 5.000 ha und ist von vielen kleinen und auch ausgedehnteren Wegen durchzogen. Mal wandert man auf festem Grund, mal auch auf ein wenig nachgiebigen Moorpfaden oder auf Holzstegen. Gelegentlich trifft man auf kleine Moortümpel, Palsen genannt, die schon fast an ein Auge erinnern mit welchem das Moor Ausschau hält…
Wer schon einmal im Hohen Venn war, wird es mir bestätigen: Eine eigenwillige Landschaft, mit einem durchaus herben, urzeitlichen Charm. Ein lohnenswerter Trip zu jeder Jahreszeit. Unser Ausflug führte uns Ende Oktober zur Herberge Baraque Michel. Über Eupen eine knapp 45-minütige Anfahrt. Zwei große, kostenfreie Parkplätze mit vielen Wandervorschlägen bestätigen mal wieder die angenehme belgische Gastfreundschaft. Wir hatten uns das Poleur-Venn und dort eine recht kurze Runde von gut 4 km ausgesucht. „Die herbstliche Sonne im typischen Venn“ war mein selbstgewähltes Fotothema. Unser Weg führte uns durch ausgedehnte, waldfreie Moorflächen, gelegentlich begleitet von einem gluckernden Bach und hochgewachsenen, die Pfade säumenden Birken. Vereinzelte Fichten, prächtig gediehen und schön wie aus dem Bilderbuch, strahlten schon fast eine majestätische Würde aus. Welke Farne und Pfeifengräser sowie die Blätter der Laubbäume, wie Birken und Ebereschen, verwandelten bei strahlendem Sonnenschein die Hochfläche in ein bernsteinfarbenes Kunstwerk mit leuchtenden rotbraunen und grünen Tupfern. Ein Fest für die Sinne. Nach einem ausgiebigen Spaziergang von bald drei Stunden Dauer und einer vollen Speicherkarte mit vielen wunderschönen Motiven (einmal mehr sei hier meiner Frau herzlich für ihre Geduld gedankt), erreichten wir wieder unseren Ausgangspunkt, die Baraque Michel. Bevor wir uns auf den Heimweg machten, kehrten wir noch im traditionsreichen Restaurant ein und ließen bei einer leckeren Mahlzeit den Tag ausklingen. Äußerst zufrieden waren wir uns einig, dieses einzigartige Hochmoor beim nächsten Mal im Winter zu besuchen.
Erstmals erschienen im „Schleidener Wochenspiegel“ unter der Rubrik „Schon mal dort gewesen?“.